Hier ein wie ich finde schöner Auszug aus unserem Gästebuch, natürlich in Einvernehmlickeit mit der Autorin:
Heute ist der letzte Freitag vor Weihnachten, ich packe meine Sachen und nehme die Straßenbahn um halb acht. Das sonore Summen der Tram schläfert ein, man meidet die Blicke. Ein Schüler, etwa 5. oder 6. Klasse mit düdelndem Smartphone empfängt an der nächsten Haltestelle einen Freund, schnauzt ihn an, dass er gestern Abend nicht wie verabredet im Onlinespiel war und Sie jetzt deswegen nur soundsoviele Punkte bei dem Spiel bekommen hätten. Dieser versucht sich in Ausreden, stammelt vor sich hin, er hätte ja versucht, aber die Mutter eben…. Vielleicht hatte er ja besseres zu tun, war mit seiner Schwester im Spiel vertieft oder hat beim Plätzchenbacken geholfen, wie auch immer…
Kurz vor dem Seminar springe ich noch kurz in den Supermarkt und besorge mir etwas zu essen für den Tag, vor mir an der Kasse eine ältere Frau, hat sich irgendwie verzählt und lässt die Kassiererin in ihrer Geldbörse das Kleingeld raussuchen. Hinter mir verdreht ein Herr in Jogginghosen, zwei 1,5L Billigcola unterm Arm und gerade dabei sein Kippenpäckchen aus der kindersicheren Gittervitrine herauszusuchen, die Augen und stöhnt. Ich biete ihm den Vortritt an, scheinbar hat er es eilig und jetzt vor Weihnachten wohl gerade besseres zu tun als an der Kasse anzustehen. Verstört lehnt er Empört mein Angebot ab, schaut an die Decke und schnauft tief durch.
Ich bezahle und schlendere zum Seminarraum, noch abgeschlossen, die Kommolitonen stehen herum und man ratscht halt ein wenig. Ob ich die letzte Games of Thrones Folge gesehen habe, ich verneine, ich habe noch nie einen Fernseher gehabt. Mein Laptop kann das, aber ich wüsste nicht wann und warum ich dass sehen wollte. Anderer Leute Intrigen, Geheimnisse, Verräte, damit möchte ich meine Zeit nicht vertun.
Mein Leben ist doch spannend genug: Erstsemester Medizin in Würzburg, dazu mit haarigem Hund und keinen reichen Eltern als „Sicherheit“; das macht die Besichtigungstermine der paar bezahlbaren Wohnungen zu keinem erfolgsversprechendem Unterfangen. Ja, wer mit Papa und seinem großen Wagen zur Besichtigung vorfährt und dort sein Firmenkärtchen als Adresse hinterlässt, hat bei den meisten Maklern die besseren Karten.
Aber zurück zum Seminar: Es ist Nachmittag, man will sich zum Glühweintrinken heute Abend am Weihnachtsmarkt treffen, so als Abschluss vor Weihnachten, wann genau dann per Whatsapp. Tut mir leid sage ich, heute habe ich frei, muss erst morgen wieder am Kunstverkauf dort am Markt arbeiten, heute Abend möchte ich nochmal meine Mutti besuchen, Weihnachten dann zu Papa. Zudem hat mein Handy gar kein Whatsapp, das kann wirklich nur telefonieren und SMS schreiben. Auf dem Weg durch die Stadt spricht mich ein junger Mann in roter Jacke an, ob ich denn schon wirklich günstig telefoniere, zudem gibt es ein neues Irgendwas-Phone kostenlos dazu… Danke, ich bin glücklich mit meinem Nokia.
Die Stadt wimmelt von Menschen, es leuchtet und glitzert an allen Ecken, ja es Weihnachtet wie es scheint. Alle auf der Suche nach Geschenken für die Liebsten, von diesem Laden in den nächsten, als ob man etwas gutzumachen hätte was man das ganze Jahr über versäumt hatte. Ich schenke meiner Mom dieser Jahr das selbe wie immer, was verrate ich aber nicht. Vermutlich bekomme ich auch wieder das selbe wie jedes Jahr, das gleiche zu schenken wie letztes Jahr, für die meisten ja ein Albtraum, aber ich finde diese Vertrautheit unheimlich schön…
Am frühen Abend komme ich zurück zum Wagenplatz, derzeit meine Unterkunft bis ich für mich und meinen zotteligen Anhang etwas zum bleiben gefunden habe. Ich gehe der Nase nach und kuschle mich bei meiner Nachbarin in die warme Rundsitzecke und bekomme einen veganen Kartoffelauflauf vorgesetzt, meine Strümpfe kommen zum trocknen an den Ofen. Brav war er den Tag über, mein Zottel, versteht sich gut mit anderen Hunden. Die Zeit vergeht wie im Flug, die Socken und die Schuhe sind wieder trocken, ich muss mich verabschieden für die nächsten zwei Wochen, Weihnachten bei der Familie und Silvester bei der besten Freundin.
Ich steige in den Wagen und fahre Richtung Karlstadt, Berufsverkehr vor Weihnachten. Hinter mir zwei gleißende Lichter, so tief dass man sie nicht mal mehr im mittleren Rückspiegel sieht. Hier ist 80, mein Zeiger steht sogar leicht darüber, zudem Überholverbot. Vor ein paar Jahren ist hier ein Kerl, etwa so alt wie ich und auch um Weihnachten herum mit seinem Wagen auf die falsche Spur gefahren, hat übersehen dass hier aus zwei Spuren nur noch eine wird, während die andere nach Veitshöchheim abbiegt. 6 Menschen auf einen Schlag tot, die ganze Familie auf einen Schlag ausgelöscht. Meine Mutter kannte die, ich nicht, der hinter mir auf keinen Fall. Als die drängelnde Großraumlimousine meinen Kleinwagen dann trotz Verbot überholt wünsche ich ihm eine gute Fahrt, er scheint es eilig zu haben, um zu seinen Liebsten, seiner Familie zu kommen….
Manchmal scheint mir, dass sich die Welt jedes Jahr schneller dreht, wir werden effektiver und effizienter. Wir sparen und kalkulieren, wir erwirtschaften das Größtmögliche und ziehen den größten Vorteil aus dem was sich uns bietet. Wir wägen jede unserer Entscheidung rational ab, wir rechnen nach und legen fest in Wahrscheinlichkeiten und Prozenten. Ja, wir sind wahre Meister in dieser Kunst. Doch was nützt uns das alles, wenn man dabei das wesentliche im Leben aus den Augen verliert? An was soll uns Weihnachten denn eigentlich erinnern? Könnt ihr mir das sagen?